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Leben S Kunst Malerei von Andrea Humpert-Faßlrinner

Ausstellung im Klinikum Karlsruhe, Zentrum für Kinder und Frauen (Haus S), am 23. Oktober 2011 Laudatio: Helene Seifert M.A., Kunsthistorikerin, Karlsruhe

Ein Krankenhaus scheint auf den ersten Blick nicht unbedingt ein geeigneter Ort für Kunstausstellungen zu sein, Kunst findet schließlich in Museen, Galerien oder allenfalls in Banken statt. Aber sehen Sie sich dieses Gebäude des Zentrums für Kinder und Frauen an: hell, freundlich, lichtdurchflutet ist es, es lässt den Blick nach außen zu und den Blick von außen nach innen. Und somit ist es als Architektur per se prädestiniert für Ausstellungen von Kunstwerken. Und dies ist im Klinikum Karlsruhe schon seit Herbst 1986 zu einer Tradition geworden. Initiator war der kunstinteressierte Rainer Leutheuser, und seine Idee war es, Kunst in die Klinik zu bringen. Die erste Künstlerin, die damals ihre Werke im großen Sitzungssaal und im Eingangsbereich zeigen konnte, war Andrea Humpert-Faßlrinner, und genau 25 Jahre später, nämlich heute, ist sie mit ihren rund 30 neuen Arbeiten wieder zu Gast im Klinikum Karlsruhe, diesmal im 2003 fertig gestellten Zentrum für Kinder und Frauen, auf den vier Ebenen des Treppenhauses. Doch auch in vielen anderen Fluren begegnet man Präsentationen von Malerei und Grafik, etwa auf der Station von Prof. Ulmer. Diese besondere Begegnung von Mensch und Kunst hat Andrea Humpert-Faßlrinner zum Thema ihrer Werkschau gemacht: Leben S Kunst.

Lassen Sie mich nun mit Ihnen sozusagen einen „virtuellen“ Rundgang zu den Bildern machen, die zum größten Teil in diesem Jahr entstanden ist.
In der ersten Ebene, oben im Eingangsbereich, ist Ihr Blick bereits auf vier Gemälde gefallen: ein großformatiges „Familienbild“, das einen weitläufigen Innenraum darstellt, in dem sich mehrere teils nur schemenhaft erkennbare Personen aufhalten, die alle miteinander in einer Beziehung stehen. Sie scheinen unterschiedlich alt zu sein, und vielleicht wird hier auf den renaissancezeitlichen Topos der Lebensalter angespielt: das ganze Leben ist Veränderung, von der Wiege bis zur Bahre; und tatsächlich ist im Hintergrund eine Person auf einer Liege zu erkennen. Es ist ein harmonisches und friedliches Miteinander, eine Momentaufnahme eines idealen Familienlebens, eingebunden in die freskohafte matt-sanftfarbige Umgebung des Raumes – einige Gegenstände sind nur angedeutet – und mit einer Beziehung zur Außenwelt, zur Natur, die man als Landschaft durch den Blick durch eine großflächige Fensterfront deutlich erkennt. Die Künstlerin arbeitet mit Farben aus Eitempera mit Farbpigmenten und Kreide ein Spiel der Schattierungen heraus, setzt Farbtöne einmal deckend und einmal zart lasierend mehrfach übereinander, erzeugt damit eine schon fast haptische Materialität und setzt die Zweidimensionalität des Gemäldes stark in den Tiefenraum fort. Auch diese Komposition mit dem Fensterausblick und der Struktur von Vertikalen und Horizontalen nimmt direkten Bezug auf dieses Gebäude; gerade das obere Treppenhaus erhält durch die großen Glasflächen eine Transparenz, die sogar den Blick in benachbarte Flure und Innenhöfe gewährt, belebt durch die Menschen, die sich darin bewegen. Auch abends gewährt die Beleuchtung einem Betrachter von außen den Blick nach innen, in das Gebäude und auf die Gemälde, z.B. auf die folgenden Bilder: „Schwangere“, die ein Kind erwartet, wie viele Frauen, die hierher kommen. Hoffnungen, Freude, aber auch Ängste sind mit so einer Erwartung verbunden; diese Gedanken, die um die werdende Mutter kreisen, sind vielleicht durch die vielen Farbflächen und Farbflecken verdeutlicht, welche die Frau umgeben. Die Künstlerin nähert sich mit viel Wärme und Weichheit der Frau und der „Frucht ihres Leibes“, dem Bauch, den sie wie eine reife Frucht vor sich hält, liebevoll rund im Zentrum der Komposition.
Daneben ein Landschaftsbild, in leuchtendem Grün und Orangerot; es ist ein Fensterausblick auf ein ländliches Haus in Plüschow / Mecklenburg. Herbstliche Farben deuten schon den Jahreszeitenwechsel an. Um die Ecke noch ein Fensterausblick. Er scheint die Architekturelemente dieses Hauses fortzusetzen, der Blick nach draußen lässt Pflanzen, Bäume aber auch weitere Gebäudeteile erkennen. Andrea Humpert-Faßlrinner hält auf diese Weise immer wieder die eigenen Eindrücke fest, die sie erlebt, wenn sie aus ihren Atelierfenstern blickt. Sie zeigt uns aber kein reines Abbild der Natur oder der Realität, sondern setzt die Eindrücke künstlerisch um, bearbeitet sie und liefert Bild gewordene Gedanken und Gefühle des inneren Erlebens.

Hier unten sehen wir ebenfalls ein großformatiges „Familienbild“; ein ähnliches Familienbild wurde seinerzeit bei der ersten Ausstellung vom Klinikum angekauft und hängt im großen Sitzungssaal. Dieses hier ist abstrakter als dasjenige im Eingang. Ocker- und Grautöne dominieren hier und eingebunden in Rechteckformen erkennt man angedeutete Köpfe und Körperteile der Dargestellten, eine Frau, die sich Kindern zuwendet. (Passt schön zur Kinderbetreuung hier unten!) – Fast noch abstrakter gestaltet sich das etwas kleinere Bild „Mutter mit Kind“ bzw. „mit Kindern“, in dem wiederum nur angedeutete Körperpartien von abstrakt flächigen und linearen Gefügen durchdrungen sind.
An der Wand sechs Kleinformate, es sind zwei Stillleben mit Früchten und einem Tulpenstrauß sowie Porträts von Frauen. Es sind kleine, sehr malerische Motive, die aber auch grafische Elemente aufweisen, zarte Linien von der Kreide gezogen, und diese Technik wendet die Künstlerin häufiger an. Schemenhaft zeigt sie hier die Frauen, entweder schwanger, oder mit Kind oder stillend, wobei die Bezeichnung Stillleben eine neue Bedeutung erhält. Eine schöne Referenz jedenfalls an die Frauen, die hier im Haus ein Kind erwarten, es zur Welt bringen und glücklich im Arm halten. Auch hier kreisen luftige Farbflecken um die Dargestellte(n), geben ihre Persönlichkeit wieder und deuten ihre Gedanken an. Wenn man näher hinschaut, erkennt man auf manchen Bildern ein angedeutetes Liniengerüst, die Quadratur, mit der ein Künstler seine Formen überträgt. Manchmal ist auch Papier, Chinapapier oder Seidenpapier auf die Leinwand oder die Hartfaserplatte geklebt, was als neue Technik eine andere Arbeitsweise erlaubt und die Oberfläche als Farbträger vielseitiger macht, glatte und raue Oberflächen wechseln hier ab. Manchmal wird die Eitempera glatt und deckend aufgetragen, manchmal fast trocken über die poröse Leinwand gewischt, so dass die Struktur deutlich sichtbar wird. Immer wieder atmet Leinwand durch, denn sie wird nie akribisch bis ins letzte Eck wie in einem horror vacui ausgemalt.
In der 2. Ebene werden Sie fünf großformatige Frauenporträts sehen: lesende Frauen, von Blumen gerahmt, in einem Stuhl Sitzende, die den Betrachter ansehen. Es sind in jeder Hinsicht vielschichtige Porträts, scheinbar undeutlich gemalt, die aber das Wesen der Frau recht deutlich zeigen; manche dieser Frauen scheinen archaisch-statisch, manche wieder in einer leichten Bewegung festgehalten zu sein. Mehrere meist lasierende Farbschichten um sie herum überlagern sich, sind übereinander gewischt oder aufgetupft, wodurch ein schimmernder oder schillernder Effekt entsteht, eine Transparenz und räumliche Tiefe.
Etwas weiter drei neue Bilder von Andrea Humpert-Faßlrinner: zwei Stillleben, etwa ein Tulpenstrauß, dessen auf den Tisch herab gefallene Blütenblätter ein lebendiges und leuchtendes Farbenspiel auslösen, dessen Farbnuancen im ganzen Bild anzutreffen sind. Fast greifbar sind die plastischen Formen, und auch hier wieder einmal Leinwand, einmal aufgeklebte Papiere.
Papiere ebenfalls auf der „Großen Improvisation“, in welcher die Künstlerin die Farben der Ausblicke aus ihrem Atelierfenster festhält, eine Reminiszenz an wechselnde Tageszeiten, Wetterlagen und Beleuchtungen. Der Blick nach außen wird in abstrakte Formen transformiert. Das Bild verselbständigt sich und bekommt ein Eigenleben, eine Eigendynamik, eine Kommunikation zwischen Künstler und Kunstwerk entsteht. Nicht nur die vielen Farbflecken selbst beginnen zu schwimmen und zu kreisen, auch verdichten sie sich zu ringförmigen Elementen, die zu driften scheinen. Auch für den Betrachter beginnt ein neues Seherlebnis, denn er kann hier den Entstehungsprozess nachvollziehen und mit dem Bild in Kommunikation treten.

Die in Freiburg i.Br. geborene Künstlerin Andrea Humpert-Faßlrinner dürfte vielen von Ihnen keine Unbekannte mehr sein. Bei ihrem Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe hat sie bei Prof. Klaus Arnold ihre Herausforderung gefunden, ständig ihre Techniken ausgefeilt und durch kontinuierliches Arbeiten am Modell und der Natur ihre eigene Bildsprache definiert, die uns in vielfältiger Improvisation in immer neue Farbwelten führt. In ihren gut 30 Schaffensjahren konnte sie ihre Werke bereits in zahlreichen regionalen und überregionalen Ausstellungen vorstellen; Kunstpreise und Stipendien, etwa für einen Studienaufenthalt in Rom, sind aufmunternde Anerkennungen für ihre Kunst. Die Malerin möchte uns hier einige ihrer neuesten Arbeiten präsentieren, die sie auch thematisch für diesen Ausstellungsort ausgewählt hat. Mehr zu ihrem Werdegang können Sie aus dem mehrfach ausgehängten Lebenslauf ersehen. Immer ist der Malerin eine künstlerische Entwicklung wichtig, neue Fragen, neue Umsetzungen, kein Stillstand, selbst die Stillleben sind eher voller Lebendigkeit als voller Stille.

In der dritten, obersten Ebene sind abstrakte „Improvisationen“ gehängt, die in Tagwerktechnik entstanden sind: wie ein Freskomaler, der täglich eine gewisse Wandfläche bemalen kann, bevor der feuchte Putz trocknet, so wählt die Künstlerin für verschiedene Tage einen gewissen Bildraum, den sie gestaltet. Tageweise und stückweise wird so das Bild fertig. Die Natur gibt hierfür wieder den Impuls bezüglich der Farbigkeit und Formensprache, die wie in einem Musikstück „Thema mit Variationen“ verändert und variiert werden. Diese „Improvisationen“, wie die Künstlerin sie selbst benennt, sind durch ein zugrunde liegendes Raster strukturiert, mittels aufgeklebter weißer Papiere, die sich ebenso wie die figürlichen und gegenständlichen Kompositionen in klassischer Manier in eine Grundform einbinden lassen. Es sind Farbspiele der besonderen Art, die sie meist auf Hartfaserplatte aber auch auf Leinwand festhält. Beim längeren meditativen Betrachten erfährt man, dass sich die Farbflecke verdichten, sich zu bewegen scheinen und aus dieser Dynamik wieder einen rhythmischen Gleichklang erzeugen. Zumal wir assoziativ auch in diesen abstrakten Bildern Formen ausmachen können, die sich zu Gebilden fügen, welche wir bereits zu kennen glauben. Das Spiel mit der Linie, einmal geradlinig, einmal intuitiv gewölbt oder gezackt verlaufend, kann in einem Bild auch die Verbindung von vorn und hinten herstellen und eine Tiefenräumlichkeit erzeugen.
Vier Farbimprovisationen werden Sie an die vier Jahreszeiten erinnern, wobei Sie auch selbst nach Ihrem inneren Empfinden wählen können, an welche der Jahreszeiten Sie der Klang aus Farbtönen und Farbanordnung erinnert, Jahreszeiten, die sozusagen rahmenlos und maßlos sind, da sie über den Bildrand in die Seitenränder weiterlaufen. Drei letzte Bilder sind zwei Stillleben mit Blumenvasen, auch hier gibt der Bildträger – einmal Hartfaserplatte und einmal Leinwand – die Oberflächenstruktur vor. Licht- und Farbreflexe erzeugen trotz der matten Farbe einen spiegelnden Eindruck, jedoch unbestimmt wie die Vision einer Vase mit Blumen, eine Vision eines Tisches mit Früchten.
Und zu guter Letzt eine Farbimprovisation aus differenziert gemischten Grün- und Ockertönen in einer Rasterstruktur, wiederum eine Umsetzung der Fensterausblicke in die Natur, die sich stetig verändert, mit kleinen Andeutungen von Weinreben, scheue Linien wie in einer chinesischen Kalligrafie.

In all diesen Bildern von Andrea Humpert-Faßlrinner können wir das Thema der Ausstellung widergespiegelt sehen; es ist ein Wortspiel, wobei eine s-förmige Linie das Leben und die Kunst miteinander vereint. Die Räumlichkeiten sind hierfür wie geschaffen: eine Klinik, in der bei einer Geburt neues Leben entsteht, in der die Heilung von Krankheiten zu einem neuen Lebensgefühl führen. Und dann die existenzielle Frage nach dem Leben, das man selbst führt, nach dem Sinn des Lebens. Täglich treffen wir Entscheidungen, wie wir in einem Balanceakt zwischen Pflichten und Arbeit einerseits und Muße und Freizeit andererseits einen Spagat schlagen können. Nächste Frage: wie gestalte ich mein Leben? Ein Künstler fragt sich: wie gestalte ich mein Kunstwerk? Die Ideen der Künstlerin kommen aus ihrer Umwelt, von den Menschen ihrer Umgebung, Ihrer Familie, ihren Freunden, ihr persönliches Leben fließt in ihr Kunstwerk ein, ein Leben voller Farben. Für einen Künstler kann die Kunst ein Anker im Leben sein. Musik, bildende und darstellende Kunst kann für uns alle die Möglichkeit eröffnen, die Dinge hinter der Alltagswelt zu erahnen, das Leben durch die Kunst erhöhen zu lassen. Andrea Humpert-Faßlrinner äußert, dass die Kunst eine Türe sein kann, die wenn geöffnet, in uns etwas bewegt, anstößt, uns befähigen kann, das Leben intensiver zu erleben und zu bestaunen. Mit einem Zitat der Künstlerin möchte ich abschließen. Sie sagt:

„Meine Arbeiten sind eng mit meinem Leben, den Menschen, die mich umgeben, den täglichen Gegenständen, Fensterausblicken, verbunden. Immer wieder geht es um Sehen und Finden. In den Improvisationen verselbständigen sich die vielen Farbeindrücke, die den ganzen Tag über auf mich einstürzen zu einem eigenständigen Farbgewirr, das sich ähnlich wie eine Improvisation von Tönen, den Klängen in der Musik, über die begrenzte Oberfläche ausbreitet, Farbton neben über, unter Farbton.“

Helene Seifert M.A.