Texte

Schwebendes Gleichgewicht

Manchmal sind es nur Spuren. Ein Schimmer von Zitronengelb, eine Ahnung von Taubenblau. Die Linien, die eine Schulter einen Schenkel konturiert, werden nirgends hart, scharfkantig. Eher schon oszillieren sie um die anatomischen Gegebenheiten, als habe ein Zittern die dargestellte Person erfasst oder als wollte die Künstlerin daran erinnern, dass jedes stehende Bild nur eine momentane Fixierung ist. Andrea Humpert- Fasslrinner gibt ihren Arbeiten etwas Schwebendes, stellenweise Ephemeres, das sich gerade noch oder gerade erst zeigt und manchmal kaum mehr als eine Andeutung: Ein Blassgrün steht einem Rotbraun gegenüber, lasierendes Weiß, das sich in Sprenkel auflöst, eine blaue, leicht geschwungene Linie als Maximum an farblicher Hervorhebung, einige geschwinde malerische Kürzel, die für Büsche, Bäume, Äste stehen könnten oder für ein Stillleben auf einem Tisch.

Mit Flüchtigkeit hat das alles nichts gemein. In den Malereien wird Wirklichkeit abgetastet. Nicht Punkt für Punkt, Pixel für Pixel wie bei einem Scanner, sondern mit der eigenen Geschwindigkeit einer Künstlerin, die offensichtlich sehr wohl weiß, dass die Wirklichkeit der Bilder und die Wirklichkeit der Objekte und Personen zweierlei sind und sich und sich doch im besten Fall wechselseitig erhellen. Andrea Humpert- Fasslrinner, die von 1978 bis 1985 bei Klaus Arnold an der Kunstakademie studiert hat, hält in ihren Bildern die Balance zwischen chiffrenartiger Benennbarkeit und dem freien Spiel der Farben, Formen, Linien. Ihre Motive sind Blumen, überhaupt Pflanzen, einfache Gegenstände.

Sie heißen Eva, Sarah, Barbara, Ulla oder Claudia. Oft genügt der Schwung einer Kontur, das Gleichgewicht farbiger Akzente, die Dynamik der malerischen Struktur, um eine Person zu charakterisieren. Diese Bilder sind das Ergebnis eines dreifach ausgerichteten stummen Dialogs: zwischen der Malerin und ihrem Modell, dessen Präsenz auf den Prozess ästhetischer Entscheidungen zurückwirkt, zwischen der Künstlerin und ihrer Malerei, die eigenen Gesetzmäßigkeiten zu folgen scheint, und zwischen dem Bild und seinem Betrachter, der feststellt, dass ihm die Malerei neue Zusammenhänge und Zusammenklänge erschließt, auch wenn sie im Einzelnen unentschlüsselbar und damit ein steter Anlass bleiben, immer wieder neu hinzuschauen, sich einzusehen, sich einzulassen auf die Herausforderungen der Kunst.

Michael Hübl